Dokumentarfilm
16 mm; Farbe; Magnetton
73' 56" (bei 24 B/s), 70' 50" (bei 25 B/s)
TV-Kurzfassung: 52' 00"(Digibeta)

Aufnahmematerialien:
16 mm s/w und Farbe, Fotos s/w und
Farbe, PAL-Video
Aufnahmezeitraum: 1978–1991
Fertigstellung: 1995
Digitale Fassung in Vorbereitung

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Schwestern –
Nachdenken über Corinne und Angela

Jeder Zustand, ja jeder Augenblick
ist von unendlichem Wert,
denn er ist der Repräsentant
einer ganzen Ewigkeit.
Johann Wolfgang von Goethe

 

Der Film schildert das Aufwachsen zweier Schwestern aus der Perspektive ihres Vaters nach Trennung und Scheidung der Eltern. Der Vater erinnert sich zurück an die wichtigsten Stationen des gemeinsamen Weges.
Corinne kommt in München zur Welt und geniesst vier Lebensjahre als Einzelkind. Nach dem Umzug in die Schweiz muss sie die Geburt einer kleinen Schwester, Angela, akzeptieren. Trotz sorgfältiger Vorbereitung durch die Eltern reagiert sie mit starker Eifersucht.
Streit und Machtkämpfe, Eifersucht und Spannungen machen erst im Lauf der Jahre Gefühlen des Zusammengehörens und der gegenseitigen Liebe und Achtung Platz. Rückfälle sind häufig.
«Schwestern» zeigt dieses langsame Zusammenwachsen als vielschichtigen Prozess über dreizehn Jahre hinweg.

 

Trailer

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Die Wolken ziehn, das Wasser fliesst.
Su Shi

Auf der Ebene des Erzählers stellt der Film eine Meditation über Bindung und Loslassen, über Erinnerung und Gegenwart dar. Unter diesem Aspekt gewinnt der scheinbar lapidare Gedanke des Su Shi neue Bedeutung, teils schmerzliche, teils tröstliche: Nichts kann auf lange Sicht unverändert bestehen, das Leben wandelt sich fortwährend. Unsere Kinder werden erwachsen und gehen ihre eigenen Wege, Partner verlassen uns, vielleicht verlieren wir die Wohnung, die Stelle, die Gesundheit, den Besitz, ganz sicher aber irgendwann dieses Leben. Was bleibt?

 

Wolken, Wasser, Menschen:
Nichts an sich ketten.
Nur wahrnehmen, ganz wach.
Zeuge sein. Wiedererkennen.

 

Die Filmarbeit ist meine Weise, mit der Vergänglichkeit des Lebens umzugehen, aber weniger um des Festhaltens willen, als vielmehr in Bezug auf das Wachsein und die Wahrnehmung der Kräfte, die uns durch alle Unbehaustheit hindurchtragen.
Mein Film ist für Menschen gemacht, die Kinder und ihre unverstellte Art der Lebensäusserung schätzen, für Menschen, die das Zuschauen und Zuhören ohne vorgeformte Raster nicht verlernt haben.

 

Team
Buch, Kamera, Regie, Montage, Produktion: Hans Peter Scheier
Ton: René Scheier
Tonassistenz: Heiner Wezel, Susanne Burtscher
Skript und vieles mehr: Martin Zehender
Licht: Paul Prylinski
Musik: Seizan Ishigaki (Shakuhachi), Sonoton; Jazz Gillum (voc., hca.), Yazoo Records
Mischung: Martin Schalow (Arri München)

Mitwirkende
Die Kinder: Angela und Corinne Scheier, Eva und Adrian Höhn
Die Erwachsenen: Ruth Scheier, Hans Wanner, Ferdinand Zehender

Drehorte
Schweiz: Ebertswil, Schaffhausen, Thayngen, Fex-Tal, Birmensdorf
Deutschland: München
Frankreich: Roussillon

Labor
Egli Film & Video: Yvonne Marti
Negativschnitt: Yvonne Steiner; Lichtbestimmung: Ruth Kägi
Video: André Brunner

17 Jahre Produktionszeit

Auch diesen Film habe ich mit minimalen Mitteln hergestellt. Das führt zu sehr langen Produktionszeiten. In diesem Fall kam dazu, dass es eine Langzeitbeobachtung war. Das Geld für den Film habe ich zwischendurch als Theaterpädagoge verdient. –
Angesichts des Horrors in aller Welt, angesichts des inflationären Medienangebots und angesichts der Gewissheit, dass der Film seine Kosten nie einspielen würde, musste ich mir klarwerden, was ich mit meinen bescheidenen Mitteln leisten konnte und wollte.
Ich hätte soziale Missstände aufdecken können. Viele Dokumentarfilme tun das. Sie zeigen Konflikte und Opfer. Besonders Kinder als Opfer beeindrucken das Publikum.
Man kann aber auch zeigen, wie Menschen aufwachsen, wenn sie nicht zerstört oder deformiert werden. Gewiss, das ist nicht so spektakulär wie ein Skandal, aber es wirkt nachhaltiger. Ich glaube, die Menschen brauchen sinnstiftende Impulse und Anregungen. Nicht Rezepte. Aber konkrete Berichte darüber, wie andere sich mit den Grunderfahrungen des Lebens auseinandersetzen. Und sie brauchen die Ermutigung, ihren Kindern zu vertrauen. Sie müssen sie nirgendwo hin(er)ziehen. Wir Eltern müssen eher uns selbst erziehen – und den Kindern helfen, sie selbst zu werden.
Aus dieser Überzeugung heraus habe ich das Projekt durchgetragen. Gegen jede «Produzentenvernunft». Ja, ich bin ein Kamikaze. Aber ich habe genügend Zeit gehabt, meine Motive zu prüfen: Ich weiss, dass ich ein Kamikaze des Lebens und nicht des Todes bin. Das ist schon sehr viel in dieser Zeit. Jedenfalls in meinen Augen. Und ich danke allen, die mir auf meinem Weg geholfen haben.

 

Verhinderte Veröffentlichung

Dies ist der dritte von vier Filmen meiner «Zwei Mädchen»-Reihe. Er hat mich als Filmer gleichsam den Kopf gekostet. Ablehnung an den Solothurner Filmtagen, kein Kauf durch das Fernsehen, kein Erfolg bei den Medien.
Nur in Schaffhausen, wo überraschenderweise beide grossen Zeitungen die Premiere ankündigten, ist das Publikum scharenweise gekommen und begeistert gewesen (siehe «Presse»).
Der Hauptvorwurf von Medienleuten an meine Filmreihe war von Anfang an, das seien «Familienfilme», sie seien privat, also gesellschaftlich nicht von Bedeutung.
Natürlich habe ich die Filme zum grossen Teil in meiner damaligen Familie gedreht. Das hatte neben finanziellen auch praktische Gründe: Ein Eindringen mit der sperrigen 16 mm-Technik und einem Team in eine andere Familie wäre nur schwer machbar gewesen. Für echte, unverfälschte dokumentarische Aufnahmen mussten die Kamera und das Team unsichtbar sein, oder eben so vertraut, dass sie die Kinder nicht irritierten und von sich selbst ablenkten. Meine Motivation für die Filme war nicht, meine Töchter zu präsentieren. Ich könnte solche Filme mit jedem anderen Kind oder Erwachsenen drehen.
Es gab noch einen anderen Vorwurf: Die Szenen seien gestellt und nicht wirklich dokumentarisch. Das war eine falsche, schädigende Behauptung. Jeder Film wird durch den Schnittprozess verdichtet. Mit der Digitalisierung haben sich in letzter Zeit sehr weitgehende Gestaltungs- und Manipulations-möglichkeiten ergeben. Aber meine Filme sind auf 16 mm gedreht, mit einer sehr schwerfälligen, kaum manipulierbaren Technik. Selbstverständlich habe ich teilweise Situationen geschaffen, indem ich Kinder, Menschen und Dinge zusammenbrachte. Aber die Aufnahmen selber waren rein dokumentarisch. Die Kinder spielten, und wir hielten uns im Hintergrund und versuchten das Wesentliche aufzunehmen. Wir wussten nie, was sich ergeben würde. Da das Filmnegativ sehr teuer war, musste ich laufend entscheiden, ob ich weiterdrehen oder stoppen sollte. Das war jeweils eine schwierige, nicht rückgängig zu machende Entscheidung. Mit Video ist das heute viel leichter, weil die Speicher sehr billig geworden sind.
Das Besondere an meinen Aufnahmen ist, dass ich das Geschehen unmittelbar, ohne Probe oder Vorbereitung oder Wiederholungsmöglichkeit eingefangen habe. Ich entwickelte ein Sensorium dafür, was die Beteiligten im nächsten Moment tun würden, wohin sie sich wenden würden, wie sich die Situation entwickeln würde, so dass ich mit der Kamera fast gleichzeitig reagieren konnte. Das braucht eine grosse Wachheit und viel Übung. Es gab Situationen, die wir nicht voraussehen konnten: Ein Kind lief im Spiel plötzlich in irgendeine Richtung davon. Ich schwenkte mit, aber der Mann am Mikrophon wurde überrascht und stand plötzlich im Bild…
Wer behauptet, meine Filme seien geschönt, liegt ganz falsch und verkennt das Wesentliche meiner Arbeitsweise und Einstellung: Ich habe immer so gearbeitet, dass die Würde des Menschen, seine innere Schönheit und sein geistiges Strahlen zum Ausdruck kommen konnten. Ich habe zum Beispiel immer auf Augenhöhe der Kinder gedreht, mit Babystativ und kniend, weil ein Blick aus meiner Normalperspektive die Kinder als komische Zwerge dargestellt hätte. In meiner Foto- und Film-Arbeit habe ich nie einen Menschen blossgestellt in seiner Schwäche.
Diese Grundhaltung ist heute nicht mehr selbstverständlich. Gewisse Gruppen von Menschen oder Individuen öffentlich zu verhöhnen, wird wieder Mode. Das ist für mich ein Vorbote für Krieg. Den Menschen von früh auf zu einem liebenden, verstehenden Blick zu bilden, ist deshalb wichtiger denn je. Meine Filmreihe versucht hier einen Beitrag zu leisten.

Corinne, Angela und die Trumps dieser Welt

Ich muss etwas weiter ausholen: In der Politik und den sozialen Medien zeigt sich eine brandgefährliche Entwicklung. Brutaler Egoismus als Lebenshaltung ist in breite Volksschichten vorgedrungen. Vorbilder dafür waren nicht nur Donald Trump und ihm gleichgesinnte Spitzenpolitiker, sondern auch Wirtschafts-Manager, Sport- und Medien-Stars mit ihren unanständig hohen Gehältern und eine immer zynischer werdende Unterhaltungsindustrie mit ihrer Gewaltverherrlichung und dem Protzen mit Reichtum.
Eine weitere Beobachtung: Die öffentliche Schule versagt seit Jahrzehnten. Sie begnügt sich mit Wissensvermittlung und Selektion und vergisst dabei ihre wichtigste Aufgabe: die Bildung zu geistiger Liebeskraft. Was ist das? Es ist eine Haltung, die uns befähigt, andere Wesen (Menschen, Tiere, Pflanzen) aus ihrem eigenen Lebensentwurf und Entfaltungsbedürfnis und ihren inneren Motiven zu verstehen und zu lieben, jenseits unserer eigenen Durchsetzungsinteressen. Zwischen Menschen ist sie die Voraussetzung für Gemeinschaft. Gegenüber der Natur führt sie zu pflegendem, verantwortungsvollem Handeln.
Das heutige Ausbildungssystem züchtet viele Egoisten, die bereit sind, Leistung zu erbringen – für ihre Karriere. Sie passen sich brav an, bis sie selber an der Macht sind. Dann setzen sie sich rücksichtslos durch. Gemeinschaftsfähigkeit ist etwas anderes.
Unsere Gemeinschaftskraft sinkt, die Vereinsamung wächst. Die Folgen sind Krankheiten, Drogenmissbrauch, Medikamentenmissbrauch, Depressionen, Aggressionen, Kriminalität.
Statt Gemeinschaft bilden sich Interessen-Gemeinschaften. «Gemeinsam» gegen die Asylanten, die Schwulen, die Juden, die Feinde etc.
Und in einem weiteren Punkt versagt die Schule weltweit seit Jahrzehnten: Sie lässt die Schüler/-innen nicht zu eigenständigen Persönlichkeiten heranwachsen. Sie lehrt nicht, eigenständig und im Gespräch mit anderen zu denken, zu forschen, zu prüfen und zu entscheiden. Das ist verhängnisvoll für die Demokratie. Demokratie ist nur so viel wert wie die Fähigkeit der Bürger/-innen, mündig und selbständig zu denken und zu entscheiden. Wenn sie vorgefertigte Gedanken und Behauptungen übernehmen, also manipulierbar sind, wenn geistlose Egoisten und rüde Ignoranten und Lügner wählbar werden, weil sie über die nötigen Milliarden verfügen, um den Menschen vorzugaukeln, sie würden sich für sie einsetzen, dann ist der Totalitarismus nicht mehr weit. Und der nächste Weltkrieg ebenso wenig.

Mein Beitrag

Ich glaube, unser Grundproblem ist die Wahrnehmung. Der Blick auf die Welt und die anderen Menschen. Unser Blick ist meist reine Durchsetzung: kalt, hart, prüfend. Wir scannen alles uns Begegnende auf seine potentielle Nützlichkeit oder Gefährlichkeit. Dieser Blick greift zu kurz. Er bleibt an der Oberfläche hängen.
In meinen Filmen habe ich trotz der Schwerfälligkeit der 16 mm-Technik versucht, eine Sehweise anzuwenden, die die Innerlichkeit, die Seele des Menschen, ahnbar macht. Die inneren Motive können wir als solche nicht zeigen, aber wir können sie am Ausdruck, also der Mimik, Gestik, den Lautäusserungen und der Sprache entlang erfahrbar machen. Durch diesen offenen, geduldigen Blick sind Entdeckungen und Erkenntnisse möglich, die auf den Kern einer Person oder eines Wesens hindeuten. Nach und nach beginnt man zu verstehen, warum ein Mensch so oder so handelt. Wie er wahrnimmt, wie er mit Wirklichkeit umgeht. Wer er ist.

Geistige Liebeskraft

Meine Filmreihe zeigt in vielen Beispielen die Entwicklung geistiger Liebeskräfte. Schon ein kleines Kind ist in der Lage, seine Durchsetzungsinteressen zeitweise zu übersteigen und das Wirken der Welt oder eines Mitwesens wahrzunehmen und sich daran zu freuen oder darüber zu staunen. An Kindern sieht man das sehr schön, weil sie sich noch nicht verstellen und schützen.
Diese Kraft wird durch gute Erziehung – oder besser Bildung – gefördert. Nicht die Vermittlung von Verhaltensregeln ist sinnvoll, sondern die Förderung und Stärkung dieser liebevollen, teilnehmenden, staunenden, offenen Haltung gegenüber dem Lebendigen.
Diese geistige Liebeskraft müsste von frühester Kindheit an in Familie und Schule (die dann fundamental anders aussähe) bis ins Erwachsenenalter gepflegt werden. Schrittweise übernähmen Heranwachsende die Verantwortung für ihre geistige Bildung selber. Lebenslange Übung der Liebe und des Verstehens – quer zum Existenzkampf, den uns das berufliche und gesellschaftliche Leben abverlangt. Wir sollen (und können) keine Engel werden. Aber schon kleine Schritte verändern viel. Da die Stimmungsfarbe des geistigen Akts stille innere Heiterkeit ist, leben wir leichter und heller. Dass die Machtmenschen keine heiteren, glücklichen Menschen sind, können wir an jeder ihrer Äusserungen ablesen.
Meine Filmreihe handelt vom Wahrnehmen als einem «Ego»-losen Sehen. Sie berichtet nicht wie eine Fernsehdokumentation darüber, mit belehrendem Kommentar und Graphiken. Sie tätigt es einfach, sie schaut auf diese Weise. Und ich glaube, dass sie vielen Zuschauern Tiefenblicke in die Seele der portraitierten Kinder (und die eigene Seele) ermöglicht – und gleichzeitig dieses egofreie Wahrnehmen als innere Haltung nachvollziehbar macht.

 

Privat und öffentlich

Die um sich greifende Aggressivität, Intoleranz, Verhärtung und der sich ausbreitende wütende Egoismus spülen Populisten und Nationalisten an die Macht, die nur Konfrontation und Kampf kennen.
Es ist abzusehen, dass neue Konflikte zwischen Nationen und Machtblöcken ausbrechen werden. Die heutige globale Bewaffnung bedroht die ganze Menschheit. Und sie liegt in der Hand von Raffgierigen und Machtbesessenen.
Platon schlug vor, es sollten diejenigen an die Macht kommen, die sie nicht wollten, zum Beispiel die Philosophen…
Europa feiert 100 Jahre Frieden, und die Menschheit marschiert bereits auf den nächsten Weltkrieg zu. Beim dritten Mal aber wird sie sich selbst abschaffen.
Ich sehe grosse Gefahren auf uns zukommen. Und ich rufe zu einer inneren Wandlung auf. Die braucht viel Zeit und wird nur sehr langsam zu wirken beginnen. Aber Sofort-Lösungen gibt es nicht. Beginnen wir bei unseren eigenen Augen und Herzen. Das ganz Private wird zum Heilenden im Öffentlichen. –